Michael Ruhnau, Präsident Handelsverband Büro und Schreibkultur (HBS): Krisenbewältigung - Wie der Handel reagiert

Michael Ruhnau, Präsident des Handelsverbandes Büro und Schreibkultur, spricht über die Herausforderungen und Zukunftsaussichten der Branche. Er beleuchtet die Auswirkungen der Pandemie, die Rolle von Messen und die Bedeutung von Nachhaltigkeit.

Herr Ruhnau, Sie sind sowohl Geschäftsführer eines Bürofachhandelsunternehmen als auch Präsident des Handelsverbandes Büro und Schreibkultur. Was ist Ihre Motivation, diese beiden anspruchsvollen Rollen zu balancieren?
Ruhnau: Zuallererst bin ich Geschäftsführer und Gesellschafter des Bürofachhandelsunternehmens Bonsels Bürotechnik und damit in der Verantwortung für die im Unternehmen beschäftigten Menschen, die Ertragskraft, unsere Kunden und die Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit. Alle genannten Punkte sind nicht nur für unser Unternehmen bedeutend. Sie gelten unisono für alle Unternehmen der im Handelsverband Wohnen und Büro (HWB) vertretenen Branchen, neben dem HBS auch für den Handelsverband Möbel und Küchen (BVDM) und den Handelsverband Koch- und Tischkultur (GPK).

In für den Handel schwierigen Zeiten ist es notwendig, dass der Fachverband bei den, unsere Unternehmungen betreffenden Herausforderungen, die der Gesetzgeber uns auferlegt, eine gemeinsame Position bezieht. Dem fühle ich mich verpflichtet. In Pandemiejahren wurde das zeitliche Engagement deutlich stärker gefordert. Die aktuelle wirtschaftliche Lage erfordert ebenfalls ein erhebliches Zeitbudget. Fest steht: Das Ehrenamt darf den Erfolg der Unternehmung nicht gefährden. Balancieren ist da schon der treffende Begriff. Wenn die Wirtschaft und der Handel Teil der persönlichen Heimat sind, gelingt das aber sehr gut.

Die deutsche Wirtschaft ist von Fachkräftemangel, Inflation, Digitalisierung, Bürokratie und einer gewissen Kaufzurückhaltung geprägt. Wie bewerten Sie diese verschiedenen Herausforderungen?
Ruhnau: Die Liste kann ich ergänzen: Krieg, Gewalt im öffentlichen Raum, Klimakrise, Bildung, Zinserhöhungen, Ausbildung, Energiekosten, Wohnungsknappheit. All das führt zu großer Verunsicherung bei Investitionen und Konsum. Dazu kommt das derzeit fehlende Vertrauen in die Politik. Zu der im Juli veröffentlichten Studie des Rheingold Institutes heißt es bei ‚Zeit Online‘ am 27. Juli 2023: „drei Viertel der 18 bis 65-Jährigen haben der Studie zufolge das Gefühl, „dass unsere Politiker keine Ahnung haben von dem, was sie tun.“ Die Prognosen zum Wirtschaftswachstum werden bei jeder neuen Veröffentlichung weiter reduziert. Das führt zu weit mehr als zu einer „gewissen Kaufzurückhaltung“. Die Frequenzrückgänge sind zum Teil dramatisch.

Was vom Handel in Sachen Lieferkettensorgfaltsgesetz, Recht auf Reparatur, Hinweisgeberschutzgesetz, Dokumentation von Arbeitszeiten, Aufbewahrungsfristen, Mindestlohndokumentation seitens des Gesetzgebers gefordert wird, überfordert die Möglichkeiten des mittelständischen Handels. Eine Verschnaufpause bei der Vielzahl der Regularien gerade für KMUs wäre so wünschenswert. Die dadurch gewonnene, von Bürokratie befreite Zeit kann dann wieder unseren originären Aufgaben der Gestaltung von Einkaufserlebnissen, unseren Kunden und deren Beratung zufließen.

Ich rechne mit einer weiterhin schwierigen Entwicklung, in deren Verlauf es zu Konsolidierungen kommen wird. Auch wenn im ersten Halbjahr 2023 steigenden Umsätze zu verzeichnen waren, preisbereinigt wird der Handel mit Umsatz- und Ertragsrückgängen leben müssen.

Die Pandemie hat viele Sektoren, inklusive dem Handel, tiefgreifend verändert. Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie speziell für die PBS-Branche?
Ruhnau: Es fällt mir schwer, nach dem gerade zur aktuellen Situation Gesagten, die Begriffe „Beben“ und „Pandemie“ zusammenzubringen. Der zweimalige Lockdown in Coronazeiten war ein Schockerlebnis; auf einmal da und eine bis dahin nicht erlebte Ausnahmesituation. Es lag aber an jeder Geschäftsleitung und Inhaberschaft, aus der Situation das Beste zu entwickeln. Wenn Sie so wollen, trennte sich da die Spreu vom Weizen! Ohnehin kommende Veränderung erlebten eine ungeheure Beschleunigung. Das Hauptaugenmerk wurde auf schnelle Umsetzung gelenkt. Online- Aktivitäten wurden begonnen, Webshops, so noch nicht vorhanden, eingeführt. Die Notwendigkeit brachte schnell Konzepte wie Click & Collect ans Laufen. Alle Aktivitäten wie neue Lieferanten, um gestörten Lieferketten auszuweichen, neue Sortimente und erweiterte Dienstleistungen dienten ausschließlich dem Weiterbetrieb der Fachgeschäfte. Diejenigen, die diese Situation überstanden haben, nahmen ihr Schicksal damals in die eigenen Hände. Aktuell kommen die Herausforderungen aber aus einem politisch/ideologisch geprägten Umfeld, welches die eigenen Einflussmöglichkeiten stark reduziert. Der Handel lebt von Stimmungen! Sind diese negativ, braucht es Anreize und Förderung von außen, von der Politik, um Investoren und Konsumenten zu Käufen zu bewegen.

Der stationäre Einzelhandel sieht sich nahezu täglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Wie schätzen Sie die Zukunft dieses Wirtschaftszweigs ein?
Ruhnau: Vieles dazu ist schon gesagt. Verstärkend füge ich hinzu, die Wiederherstellung des Vertrauens in unser politisches und wirtschaftspolitisches Handeln ist die entscheidende Grundvoraussetzung für eine stabile Entwicklung der Branche, des Handels. Im fehlenden Vertrauen sehe ich die Hauptursache für die pessimistische Grundstimmung, die zu der starken Zurückhaltung bei Investitionen und Kauflust führt. Die Förderbank KfW berichtet, dass die Vergabe neuer Kredite seit Monaten stagniert. Für das laufende Quartal rechnet sie mit einem Rückgang von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch das ist in meinen Augen ein deutliches Signal für unklare Rahmenbedingungen und aufgrund der nahezu täglich neuen Streitereien der Regierungskoalition für völlig fehlende Planungssicherheit.

In einer immer digitaleren Welt – welche Maßnahmen sollten Einzelhändler ergreifen, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Sind Verbundgruppen wie Genossenschaften noch zeitgemäß?
Ruhnau: Die digitalisierte Welt muss als Chance gesehen werden. Anpassungsfähigkeit und Agilität sind entscheidende Assets des Handels. Wir richten uns immer wieder auf die veränderten „Lebenswelten“ und Anforderungen unserer Kunden ein. In der letzten Ausgabe „PBS Report“ sagte Marilyn Repp vom Mittelstand-Digital Zentrum Handel: „Der Handel ist immer weniger Versorger.“ Dem stimme ich zu. Der Handel ist immer mehr Experte. Dazu gehört selbstverständlich „State oft the Art-Wissen“, um glaubwürdig agieren zu können. Das muss der Anspruch sein. Experte auf der fachlichen Seite bei Beratung zu Produkten, Lösungen und Dienstleistungen. PBS-Verkauf ist heute C-Artikel-Management. Dort spielten Beratung und Wissen über Prozessmanagement eine deutlich größere Rolle als der Artikelverkauf. Auf der Fläche steht das Verkaufsgespräch im Mittelpunkt. Hier wird über den aktuellen Entwicklungsstand der angebotenen Produkte und Lösungen informiert. Die Nach-Corona-Zeit hat gezeigt, dass Verbraucher gerne und vermehrt in die stationären Geschäfte kommen, wenn eben diese Leistungen erbracht werden und insgesamt ein stimmiges rundes Einkaufserlebnis geboten wird. Erst die oben beschriebene aktuelle Situation der Verunsicherung hält die Kundinnen und Kunden vom Besuch der Ladengeschäfte und dem Einkauf generell ab.

Zu den Verbundgruppen: Wir haben schon über die vielfältigen Anforderungen an den mittelständischen Handel gesprochen. Nehmen Sie zum Beispiel die Bürokratie rund um Beschaffung und Wareneinkauf; diese trifft Mittelständler härter als Konzerne, die ganze Arbeitsgruppen dafür abstellen. Allein an diesem Beispiel zeigt sich der Wert der Verbundgruppen. Selbstverständlich gehört aber auch die Stärke durch gemeinsame Beschaffung, Marketingmaßnahmen und die Warenversorgung dazu. Drop-Shipping aus zentralen Lagern, die Bereitstellung von Produktdatensätzen und Shopsysteme sind Bestandteile des Leistungspaketes der Verbundgruppen, die damit dazu beitragen, die Gesellschafter erfolgreich zu machen.

Wie beurteilen Sie die aktuellen Trends und Entwicklungen bei Branchenmessen und -events? Welchen Stellenwert nehmen sie in der zukünftigen Strategie des Handelsverbandes Büro und Schreibkultur ein?
Ruhnau: Betrachten wir Events versus Messen. Gelernt haben wir, dass Events das Messegeschehen nicht ersetzen können. Das Verhältnis von Reise- zu Gesprächs- und Informationszeit, zumeist auf einen Hersteller reduziert, ist einfach zu ungünstig. Klarer Sieger ist die Messe. Sie ist der Networkingort für Handel und Industrie. Messen sind der ideale Platz, um an einem Ort zur gleichen Zeit alle Akteure zusammen zu bringen. Sowohl die Orgatec 2022 als auch die Ambiente Anfang dieses Jahres haben gezeigt, dass sich Anbieter und Handel beinahe danach gesehnt haben, wieder in persönlichen Kontakt zu kommen. Ich halte das Angebot qualitativ guter Messen für unverzichtbar, auch für die Fachverbände des Handels. Unser Engagement haben wir auch im Rahmen der Insights-X in Nürnberg gezeigt. Dort veranstalteten wir am 12. Oktober die HBS-Branchenkonferenz für Handel, Industrie und Verbundgruppen. Auch bei anderen Veranstaltungen wird der HBS gemeinsam mit den Messeveranstaltern Mehrwerte durch gemeinsam festgelegte Themenschwerpunkte und Branchenkonferenzen schaffen. Ich bin überzeugt, dass Insights-X, Ambiente Working, IMM Cologne und die Orgatec 2024 ideale Plätze für den persönlichen Austausch über aktuelle Lösungen und Produktneuheiten für alle am Marktgeschehen Beteiligte sind und bleiben werden.

Vor welchen Trends und Entwicklungen im Bereich Büromöbel und Bürotechnik sollten Bürofachhändler nicht die Augen verschließen?
Ruhnau: Die Augen verschließen sollten wir Fachhändler vor gar keinem Trend. Gleichwohl gilt es zu entscheiden, bei welchen Trends es sinnvoll erscheint, sich zu engagieren oder nicht. Vielfach ist das gerade in Zeiten des Fachkräftemangels auch eine Frage der Kapazitäten und gegebenenfalls auch der Investitionsmöglichkeiten. Unausweichlich ist die Auseinandersetzung mit allen Themen, die unter den Oberbegriff „New Work“ fallen. Dazu gehört es, sich mit neuen Arbeitsorten, die über den Schreibtisch hinausgehen, ebenso zu beschäftigen wie mit der allgegenwärtigen Diskussion um die Auflösung bisheriger starrer Arbeitszeiten. Da hat Corona unerwarteten Schwung und unerwartete Erkenntnisse beschert. Andere Einrichtungskonzepte, einen gewaltigen Schub bei der technischen Ausstattung, starkes Bewusstsein für Datensicherheit, umfassendere Nutzung von Dokumenten-Management-Systemen und damit verbunden verstärkter Bedarf von mehr Scannern und Scan-Arbeitsplätzen mit Auswirkung auf neu und anders zu gestaltende Kopierer- und Druckerwelten.

Bei der Büroeinrichtung dreht sich vieles um die Begriffe Kollaboration, Begegnung, agiles Arbeiten und darum, welche Kultur im Unternehmen gelebt werden soll. Das Büro als Begegnungsort für Vier- Augen-Gespräche, spontane Arbeitsgruppen oder auch hybride Meetings, eingerichtet mit flexiblen und gut designten Möbeln.

Nachhaltigkeit ist mehr als ein Schlagwort. Welche Rolle spielt sie im Handelssektor und wie können PBS-Händler dazu beitragen, umweltfreundliche Praktiken zu fördern?
Ruhnau: Nachhaltigkeit wäre auch so ein Thema, das bei den Trends hätte genannt werden können. Damit würde ich seiner Bedeutung aber nicht gerecht. Nachhaltigkeit hat für viele Käufer einen hohen Wert und ist entscheidungsrelevant. Nachhaltigkeit ist für Handel und Industrie zu einem sehr wichtigen Kernthema geworden.

Die Menschen sind achtsamer und kritischer, meistens gut informiert und erkundigen sich nach Herkunft, Herstellungsbedingungen sowie Materialien der Produkte. Sie suchen und beachten die bekannten Prüfsiegel wie den „Blauen Engel“, „Ecolabel“ oder „Fairtrade“. Dem Thema Nachhaltigkeit muss genügend Raum gegeben werden, auf der Fläche und in der Beratung. Das erfordert eine entsprechende Sortimentszusammenstellung und Wissen über die „Grünen Produkte“. Damit meine ich auch die Auskunftsfähigkeit darüber, bei welchen Produkten und Herstellern Kreislaufwirtschaft betrieben und/oder Recyclate für ein zweites Produktleben eingesetzt werden und bei welchen CO2 anderweitig kompensiert wird. Wenn dieses Bewusstsein im eigenen Betrieb umgesetzt und gelebt wird, vom Beleuchtungssystem über Heizung bis zum Lastenfahrrad steigert das die Glaubwürdigkeit enorm.Herr Ruhnau, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Herr Ruhnau, ich danke Ihnen für Ihre detaillierten Ausführungen.
www.hwb.online
www.bonsels.de

Michael Ruhnau, Präsident HBS und Geschäftsführer bei Müller + Höhler GmbH & Co. KG sowie Bonsels Bürotechnik GmbH

Vor seiner ersten Wahl zum Präsidenten des HBS 2014 hatte Ruhnau mehrere Jahre als Verkäufer und Gebietsverkaufsleiter im Direktvertrieb für Hochleistungskopierer gearbeitet. Nebenberuflich durchlief er in dieser Zeit eine betriebswirtschaftliche Fortbildung sowie zahlreiche Weiterbildungen im Bereich Psychologie und Verhalten. Nach einer längeren Phase als Verkaufs- und Verhaltenstrainer hatte Ruhnau leitende Positionen im Verkauf und in der Geschäftsführung in der Büromöbelindustrie sowie im Handel inne. Nach einer Periode der Selbstständigkeit als Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Interimsmanagement, Sanierung und Marketing/Vertrieb ist Ruhnau seit 2004 Mitglied der Geschäftsführung der Herbert König Bürotechnik KG und Gesellschafter von Handelsunternehmen der Branche. Seine exzellenten Erfahrungen in der Büromöbelbranche und die erfolgreiche erste Präsidentschaft waren ausschlaggebend für die Wiederwahl zum Präsidenten des HBS.